Klangvoller Auftakt – Glockenläuten ruft fast 10 Minuten lang zum Friedensgebet

© Unsplash / Shaouraav Shreshtha
© Unsplash / Shaouraav Shreshtha

Glockengeläut gehört auch in Leipzig zum Alltag und fällt daher meistens gar nicht auf. Das wird am heutigen 9. Oktober um kurz vor 17 Uhr aber auf jeden Fall anders sein:

Erstmals werden alle vier Kirchen am Leipziger Innenstadtring (St. Nikolai, Thomaskirche, Katholische Propstei St. Trinitatis und Evangelisch-reformierte Kirche zu Leipzig) mit ihrem Geläut zum Friedensgebet in die Nikolaikirche einladen. Das ökumenische Innenstadtläuten wird 9 Minuten von 16:51 Uhr bis 17:00 Uhr zu hören sein.

Vor allem die Nikolaikirche ist dank der Friedensgebete untrennbar mit der Friedlichen Revolution von 1989 verbunden, aber auch die Evangelisch-reformierte Kirche und ihr Turm spielten besonders am 9. Oktober 89 eine wichtige Rolle: Aus ihrer Turmspitze heraus entstanden Bilder, die um die Welt gingen.

Hier gibt’s mehr Infos zu den Kirchen:

Nikolaikirche

Im Jahr 2015 feierte die Nikolaikirche Leipzig ihr 850jähriges Bestehen. Von ihr gingen über die Jahrhunderte immer wieder entscheidende Impulse aus:

1539 Erster offizieller evangelischer Gottesdienst in Leipzig und damit Einführung der Reformation, 1723 Amtsantritt von Johann Sebastian Bach
 als Director musices der Stadt Leipzig – Uraufführung vieler seiner Werke in der Nikolaikirche, 1989 Entscheidender Ausgangspunkt 
der Friedlichen Revolution, die Europa veränderte.

Diese Ereignisse haben die Menschen bewegt und sind bleibende Zeugnisse des Glaubens. Acht Glocken verkünden hoch oben in den beiden sanierten Türmen der Nikolaikirche den Klang von Hoffnung und Frieden. Die fast sieben Tonnen schwere Osanna schwingt im sanierten historischen Glockenstuhl im Südturm, ihre sieben Geschwister hängen in einer ausgeklügelten neuen Konstruktion im Nordturm. Ende Juni 2019 wurden sie feierlich geweiht. Am 9. Oktober 2019 zum Friedensgebet anlässlich des 30. Jahrestages der Friedlichen Revolution erklangen alle gemeinsam das erste Mal.

Zuvor war der Südturm über 100 Jahre verwaist, seit die letzte große Glocke für Kriegszwecke eingeschmolzen wurde. Der andere Turm beherbergte drei Glocken, deren Klang wenig erfreulich und deren Glockenstuhl und Statik nicht mehr sicher waren. Zwei davon finden sich im jetzigen Geläut wieder.

Evangelisch-reformierte Kirche

Aus Frankreich kommende Glaubensflüchtlinge – Hugenotten – bilden in Leipzig seit dem Jahr 1700 eine eigene Kirchengemeinde, die im Laufe der Jahrhunderte durch Zuzüge aus anderen Gebieten verstärkt wurde. 1896-1899 erbaute sich diese Evangelisch-reformierte Gemeinde an zentraler Stelle eine große Kirche.

Das im Stil der Neorenaissance nach Entwürfen der Architekten Georg Weidenbach und Richard Tschammer errichtete Gemeindezentrum gilt als erstes Beispiel für einen einheitlichen Bau von Kirche und benachbartem Predigerhaus. Bei dem schweren Bombenangriff auf Leipzig in der Nacht zum 4. Dezember 1943 wurde die Kirche schwer beschädigt. Seit 1950 wird die Kirche wieder für Gottesdienste benutzt. Der Einbau der neuen Jehmlich-Orgel schloss den Wiederaufbau 1969 ab. 1992–1996 wurde die Kirche umfassend renoviert

Im Jahr 1989 beteiligte sich die Gemeinde aktiv an der Friedlichen Revolution. Als erste Kirche nach der Nikolaikirche begannen hier schon am 2. Oktober die Friedensgebete. Die Bürgerrechtler Aram Radomski und Siegbert Schefke filmten die Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 aus einem Versteck in der Turmspitze. Sie übergaben die Filmkassette einem illegal in Leipzig aufhältigem (westlichen Journalisten wurden im Herbst 1989 keine Reisen dorthin mehr genehmigt) „Spiegel“-Korrespondenten. Die Aufnahmen liefen am nächsten Tag zuerst in Ausschnitten in der Sendung „Report“ sowie anschließend ausgiebig in den „Tagesthemen“ über die Sender und machten die Kirche weithin bekannt.

Thomaskirche

Die Thomaskirche ist eines der beiden zentralen Gotteshäuser in der Leipziger Innenstadt und geistlicher Mittelpunkt für über 4.500 Gemeindeglieder. Sie ist die Wirkungsstätte Johann Sebastian Bachs, Heimat des Thomanerchores und Spielstätte des Gewandhausorchesters. Menschen aus aller Welt kommen in die Thomaskirche, um einen Gottesdienst, eine Motette oder ein Konzert zu erleben. Mit seiner beeindruckenden Architektur und dem 68 Meter hohen Turm prägt die Thomaskirche das Leipziger Stadtbild.

In der Thomaskirche, die auf den 1212 gegründeten Chorherrenstift zurückgeht, wurde die Universität Leipzig gegründet. Hier predigte Martin Luther 1539 anlässlich der Einführung der Reformation. Von 1723 - 1750 hatte Johann Sebastian Bach das Amt des Thomaskantors inne; sein Grab befindet sich seit 1950 im Altarraum der Kirche.

Im Lauf der Jahre wurde die Thomaskirche oft baulich umgestaltet. Die letzte große vollständige Instandsetzung und Restaurierung fand von 1997 - 2000 statt. Von 2019 - 2021 wurde das historische Geläut der Thomaskirche restauriert.

Das Geläut der Thomaskirche ist ein wertvolles Zeugnis sächsischer Kultur- und Baugeschichte. Die älteste und größte Glocke, die Gloriosa, wurde 1477 von Theodorus Reinhard gegossen und läutete bereits zu Zeiten Martin Luthers. Im Zuge der Restaurierung des historischen Geläuts der Thomaskirche wurde dieses um vier neue Glocken erweitert. Das gesamte Geläut umfasst nun acht Glocken und hat ein Gesamtgewicht von 11,1 t. Die neuen Glocken wurden am 31.10. 2021 im Rahmen eines Festgottesdienstes geweiht und erklangen erstmalig im Plenum.

Katholisch Propstei St. Trinitatis

Deutschlands mordernster Kirchenneubau

Der Rochlitzer Porphyr leuchtet schon von Weitem: Die Neue Propsteikirche wählt für ihre moderne Fassade bewusst einen besonders traditionellen Baustoff, der in Sachsen und Leipzig seit Jahrhunderten weit verbreitet ist. Der Turm – wie ein italienischer Campanile abgerückt vom Kirchenraum – bildet mit dem Turm des Neuen Rathauses ein „Tor" in die Innenstadt von Leipzig.

Mit dem Neubau (2013-2015) der dritten Leipziger Propsteikirche kehrt die Leipziger Propsteigemeinde nach 71 Jahren wieder in die Innenstadt zurück. Der Siegerentwurf der Schulz & Schulz Architekten GmbH überzeugte mit seinen zahlreichen Reminiszenzen an die Stadt Leipzig. So greift der Unterschnitt im Erdgeschoss das Motiv des Leipziger Passagensystems auf und leitet von der Innenstadt ohne Begrenzungen in den Pfarrhof. Die Kirche besitzt ein Geläut aus fünf bronzenen Glocken.

Zurück