Tourismusfrühstück „35 Jahre Friedliche Revolution“ – erinnern und erklären, erzählen und berühren

Podium beim Tourismusfrühstück: Stephan Bickhardt, Michael Kölsch, Uta Bretschneider, Moderator Helge Heinz-Heinker, Marit Schulz, Anna-Sylvia Goldammer, Siegbert Schefke (von links)

Das Tourismusfrühstück der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH ist ein etablierter, regelmäßiger Branchentreffpunkt. Am vergangenen Mittwoch (24. April 2024) stand es unter der Fragestellung „35 Jahre Friedliche Revolution: Auf welche Spuren können sich Leipzigs Gäste heute begeben?“

Das von Dr. Helge-Heinz Heinker moderierte Podiumsgespräch verfolgten in der Moritzbastei rund hundert touristische Multiplikatoren, die sich auch mit Fragen und Anregungen in die Diskussion einbrachten, sowie zahlreiche Medienvertreter.

Mit im Podium auch Journalist Siegbert Schefke, der zunächst den Blick auf den 9. Oktober 1989 lenkte. Er erinnert sich an die Stimmung im Herbst 89 in der DDR:

„Wenn etwas passiert, dann passiert es in Leipzig“

Das war Schefke klar, denn bereits zur Herbstmesse 89 war er mit Aram Radomski in Leipzig mit der Kamera unterwegs und hatte im September Aufnahmen der ersten Montagsdemos gemacht und gespürt, dass hier viel in der Luft lag. Nun waren sie am 9. Oktober wieder in Leipzig, um Bilder von der Montagsdemonstration einzufangen. Der erste avisierte Drehort, das Wintergartenhochhaus, war nicht realisierbar. Zu viel Stasi im Haus. Also weiter entlang am Ring, zur Evangelisch-reformierten Kirche. Ziel: Der Kirchturm als Drehort. Dort allerdings zunächst nur Taubenkot – und kein Schlüssel.

Aber dann – Bilder aus Leipzig, die um die Welt gehen. Oder wie Schefke sagt „Der Rest ist Geschichte“. Schefke klingt auch nach 35 Jahren noch fast ein bisschen ungläubig, wenn er auf die Dynamik der Ereignisse von 89 blickt und resümiert: „Vom 9. Oktober zum 9. November – in 30 Tagen zum Totalschaden einer Diktatur“.

Wie der vielstimmige politische Diskurs schließlich kurz und prägnant seinen Weg auf die Straße und die berühmten Parolen „Keine Gewalt“, „Demokratie jetzt oder nie“ oder auch „Wir sind das Volk“ fand, fasziniert Stephan Bickhardt, Evangelische Akademie Sachsen, Bürgerrechtler und Mitbegründer der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ bis heute. Dieser Ruf nach Demokratie sei heute wichtiger denn je, bestätigt auch Michael Kölsch von der Stiftung Friedliche Revolution, genauso wie das Bedürfnis nach Freiheit und Freiheiten – und deren Wertschätzung.

Und touristisch? Gästeführer als Erinnerungslotsen

Wie kann man heute das Thema Friedliche Revolution (touristisch) kommunizieren? Es braucht Kontextualisierung, da waren sich die Direktorin des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig, Dr. Uta Bretschneider, und Gästeführerin Anna-Sylvia Goldammer im Podium einig, es braucht Einordnung und Erklärung, um aus dem Interesse am Thema auch Wissen erwachsen zu lassen. Dies gelingt zunehmend, aber noch sei „Luft nach oben“. Und es braucht auch Emotion.

Daraus resultiert vermutlich auch der Wunsch vieler Leipzig-Touristen, einen geführten Rundgang zu buchen, weil sie einen Menschen an ihrer Seite haben möchten, einen Leipziger, der persönliche Erfahrungen mit ihnen teilt, so Goldammer, die gleichzeitig auch Zeitzeugin ist: „Es hat Mut gebraucht damals und da war Polizei, aber eben anders als heute, nicht um die Demonstrierenden zu schützen“.

Lichtfest Leipzig als Impuls für Dialog

Marit Schulz, Leiterin Lichtfest, ergänzt, dass regelmäßige Befragungen der Lichtfest-Besucher ermutigende Ergebnisse zeigen: Zwei Drittel der Lichtfest-Besucher sind unter 40, also aus der Nicht-Zeitzeugengeneration, rund 50 Prozent aller Gäste sogenannte Erstbesucher, sodass sowohl junge als auch neue Besucherkreise erschlossen werden können durch das niedrigschwellige Format: kostenlos, im öffentlichen Raum, künstlerisch, partizipativ.

„Wir wollen die Friedliche Revolution nicht erklären, sondern sie als Thema in den Raum stellen und so einen Impuls für Nachfragen und Dialog geben“. Das diesjährige Lichtfest Leipzig findet anlässlich 35 Jahre Friedliche Revolution am 9. Oktober entlang des Innenstadtrings statt und wird rund 20 nationale und internationale Lichtprojekte zeigen. Das Programm wird derzeit präzisiert und Ende August vorgestellt.

Darüber hinaus hat Leipzig den großen Vorteil der vielen authentischen Orte im Stadtraum, sodass sowohl Leipzigerinnen und Leipziger als auch Gäste die Möglichkeit haben, zufällig, quasi „im Vorbeigehen“ mit dem Thema in Kontakt zu kommen, zum Beispiel an einer der vielen Infostelen. Aber natürlich auch beim Besuch der Nikolaikirche und des Nikolaikirchhofs. Oder, besonders ungezwungen, in der „89-Bar“ des am Platz gelegenen Hotels, so Schulz. Es gelte, mit dem vorhandenen Pfund zu wuchern.

Tipp für Kinder – interaktiver Stadtrundgang mit dem Theater der Jungen Welt

Einen ganz besonderen Ansatz, das Thema auch Kindern ab 8 Jahren zu vermitteln, wählt das Theater der Jungen Welt: Ausgehend von Hanna Schotts Kinderbuch „Fritzi war dabei. Eine Wendewundergeschichte“ gibt es für Teilnehmer ab 8 Jahren einen theatralen Stadtrundgang aus Kinder-Perspektive zu den Leipziger Schauplätzen der Friedlichen Revolution 1989. Die Teilnehmenden treffen auf Fritzi, machen Sound-Zeitreisen, werden selbst aktiv und erfahren, wie viel Mut und Entschlossenheit die Menschen 1989 aufgebracht haben, um eine große gesellschaftliche Veränderung zu bewirken. Premiere ist am 3. Mai, mehr Infos sowie Termine für Mai und Juni gibt es hier. Auch im September und Oktober wird es Termine geben, verspricht Rudi Piesk vom Theater der Jungen Welt.

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